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lala
By: Guest | Date: Sep 12 2014 17:15 | Format: None | Expires: never | Size: 6.86 KB | Hits: 855

  1. Subkulturkneipe – ein Erfahrungsbericht
  2. (abseits des Musikalischen, das ganz offensichtlich keine Erwähnung mehr finden muss, da es für jemanden, der geneigt ist, einen ersten Erfahrungsbericht über eine Subkulturkneipe schreiben zu wollen, ganz offensichtlich der einzige gute Grund ist, eine Subkulturkneipe überhaupt zu besuchen)
  3.  
  4. Das Publikum reicht auf den ersten Blick von unauffällig verwegen über Subkulturintegrierter in voller Ausrüstung bis hin zu ursprünglicheren Formen der Kaputtheit. Auch ein paar gänzlich unscheinbare Methusalems sind dabei, unter gewöhnlichen Umständen würden sie vermutlich deplatziert wirken, aber unter den gegebenen, die da wären, dass die Live-Band des Abends ihren letzten Erfolg vor über dreißig Jahren verbuchte und mittlerweile selbst grau und in bescheidener Kluft auf der Bühne steht, sind sie die zu erwartenden Quoten-Echten-Fans, für die das Ganze hier ohne Zweifel eine biographisch bedeutungsschwangere und nostalgiegeladene Veranstaltung ist. Sie halten die Plätze im hinteren Bereich bei einem Bierchen warm, während die Gruftis und Punks an der Bühne stehen und so tun als würden sie tanzen, was bedeutet, dass sie gelegentlich einen Fuß vom Boden heben um ihn zwei Zentimeter daneben wieder abzustellen, und dies auf der anderen Seite wiederholen, bis sie ob der Befürchtung möglicherweise nicht apathisch genug zu wirken eine Pause einlegen müssen. Das Erscheinungsbild der Hauptzielgruppe, Methusalems ausgenommen, ist durch und durch und auf unfreiwillig komische Art geschmacklos und es ist schwierig abzuschätzen, aus welchem Blickwinkel betrachtet, von vorne oder von hinten, dieser Eindruck stärker ist. Es gibt Hosen, deren Schnitt jeder stilistischen Zuordnung trotzt, mit einer Andeutung von Schlag, die sich aber nicht durchsetzen kann gegen die dominante Andeutung von Leggins in Übergröße, und die in Kombination mit halbherzig toupierten Haaren ausgesprochen albern aussehen (besonders von hinten betrachtet). Es gibt in Massen wie man sie sonst nur in einem schlecht bezahlten Fließbandfertigungsjob zu sehen bekommt: Nieten und Ketten, und Aufnäher mit zackigen Schriftzügen von Bands, die mit eben diesen für ihre Aggressivität und Kompromisslosigkeit werben. Es gibt Köpfe, über die zufällig platzierte Straßen kahler Haut führen, Köpfe, auf denen nur ein dünner Zopf wie ein Springbrunnen sprießt, Köpfe, die ganz kahl, blass und glänzend sind. Es gibt überall Tättowierungen, die so uninteressant sind, dass sie sich jedem Versuch, sie zu beschreiben entziehen, und Ohrringe, die nichts Bestimmtes außer möglichst groß sind.
  5. Die Gruftis tanzen so geschmeidig wie Topfpflanzen und sobald sie sich umdrehen, durchsucht man ihre Gesichter automatisch nach einem Ausdruck von Verachtung, Depression oder zumindest Langeweile. Ihre vielleicht inhärente, hoffentlich aber nur demonstrative Lustlosigkeit wird auf gleichzeitig komische und schmerzhafte Art durch die Heiterkeit der Bandmitglieder kontrastiert, die ausufernde Bewegungen in Richtung des Raums machen und immer wieder versuchen in ihm Symptome eines musikalischen Klimax hervorzurufen, welche aber weitestgehend ausbleiben – zum Höhepunkt der Gefühle kommt es, als eine Person, vermutlich die einzige, die den Text kennt, sich erbarmt, den Refrain mitzusingen, was bei dem Frontman, der entweder schon zu betrunken, ein exzellenter Schauspieler oder ein Mann von lobenswerter Bescheidenheit und/oder Einbildungskraft ist, eine fast rührende Begeisterung entfacht.
  6. Die Punks tanzen nicht, sondern trinken, während sie sich allesamt um den Arm fallen, sich gegenseitig an die Glatze fassen oder an den Ohren lecken. Diese Gesten wirken nicht primitiv, sondern fast schon sympathisch, da sie einer beinahe, aber nicht ganz unauthentischen Zuneigung zu entspringen scheinen; trotzdem habe ich nicht das Gefühl, mich ihnen anschließen zu wollen, oder das zu können, zwei Punkte, die in etwa auf das gleiche hinausgehen und denen der schlichte Umstand zugrunde liegt, dass die größte Gemeinsamkeit, die ich mit einer dieser Personen zu haben hoffen könnte, das Geschlecht ist.
  7. Das Ambiente ist betont schäbig, aber nicht schäbiger als in Kneipen ohne den großgeschriebenen Zusatz Subkultur. Leitmotiv sind Graffitimalereien an den Wänden, die fast genauso interessant und anregend sind wie die vielen Armtättowierungen. Dazwischen hängen verschiedene (Kunst-)Gegenstände (mag man den Begriff von Kunst als einen dehnbaren und diskussablen auffassen), die Nutzlosigkeit und unauffindbare Ästhetik gemeinsam haben. Zu den stilvolleren Behängen zählen diverse Bierwerbeplakate, zu den weniger stilvollen ein schwarzer Stoff mit Fledermausaufdruck, der vermutlich vor zehn Jahren ein Gimmick in einer Kinderzeitschrift war, und eine schiefe kleine Engelsbüste, sicherlich aus einem Laden mit Namen „Halloween-Megastore“.
  8. Es riecht nach Tabakrauch und Bier, aber das stört nicht, die Füße bleiben nicht am Boden und die Arme nicht am Tisch kleben; es ist keinesfalls schmutzig, nur hässlich.
  9. Nach einer Weile kommt das Konzert zu einem sogar bei allem fehlenden Publikumsengagement abrupt scheinendem Ende und die Bandmitglieder verlassen die Bühne so eilig, als müssten sie einen Hubschrauber erwischen, der soeben in der Einfahrt gelandet ist und nicht warten wird. Nach einer weiteren Weile, die mit unspektakulär dahinplätschernder Übergangsmusik und Social Networking gefüllt wird, macht einer der vielen Langhaarigen und Bärtigen sich an der Anlage zu schaffen, mit dem Ergebnis, dass das Social Networking nunmehr ohne verbale Kommunikaton vollzogen werden muss, was aber allem Anschein nach kein Problem darstellt, denn die Menschen hier kennen sich entweder schon alle oder sind sehr schnell darin, Bekanntschaften mit lässigem Alter-Freund-Charakter zu knüpfen; oder, was am wahrscheinlichsten erscheint, beides, denn während zwei oder drei Hauptakteure spielerisch von einer Gruppe zur nächsten wechseln, und allen die Glatzen kraulen und in den Ohren popeln, winken auch mir Menschen zu, die ich noch nie zuvor gesehen habe, zwar ohne ungehemmten Körperkontakt aufzubauen, aber mit derselben  Selbstverständlichkeit, die exakt passend wäre, hätte man sich schon zig Male an einem der nichtklebrigen Holztische Schenkelklopfer zugegröhlt oder wäre zumindest im Verschwörertum gegen was auch immer geeint.
  10. Und diese Mischung ist es ganz offensichtlich, die hier und in jeder Subkulturkneipe dieser Welt den Ton angibt: Die Buttons an den Taschen und Aufdrucke an den T-Shirts lassen es erahnen, dass mit dem Aufenthalt auch Zugehörigkeit verbunden ist, und mit der Zugehörigkeit die entschiedene Bekenntnis zu „Fuck the system“, „Macht kaputt was euch kaputt macht“ und „ASTRA – was dagegen?“. Aus diesem Folgeschluss der gemeinsamen lallenden und gröhlenden Gegengerichtetheit wird niemand ausgenommen, auf dessen Rücken nicht ein unverhohlen ironiefernes „Polizei BW – für Ihre Sicherheit“ steht.